Goethe Live – REZITATion – FRANKFURT AM MAIN

"Was für ein Geschenk"


Dem Wahren, Schönen, Guten

Warum lesen wir Gedichte? Warum hören wir Gedichte? Warum rezitieren wir Gedichte? Einige interessante Antworten von Goethe-Rezitator Jörg Lüdecke. 


Jörg, was fasziniert uns an Gedichten?

"Gedichte spiegeln unsere Erfahrungen und Gefühle. Sie regen zum Nachdenken an, fordern uns auf, neue Perspektiven einzunehmen, und sie bieten Raum für Interpretation und Reflexion."

Brauchen wir die Rezitation von Gedichten?

"Unbedingt, denn gesprochene Gedichte berühren uns auf eine andere Weise als das stille Lesen. Denn auf einmal ist neben dem Rhythmus auch Klang da.

Den Zauber der Rezitation haben viele von uns zum ersten Mal ganz bewusst erlebt, als es galt, deutsche Balladen für die Schule auswendig zu lernen vorzutragen.

Die Erfahrung, dass Dichter mit Worten Klangkunstwerke erschaffen, offenbarte uns schon in jungen Jahren, dass Sprache nicht nur zur Verständigung dient, sondern auch eine ästhetische Dimension besitzt.

Gedichte zu hören, aber auch Gedichte zu rezitieren, das ist für mich ein kulturelles Schlüsselerlebnis."

Warum wollen die Leute Gedichte von Goethe hören?

"Viele haben es schon mal mit Goethe versucht, aber nicht den richtigen Zugang gefunden. Meine Rezitation ist das Versprechen, endlich große Literatur mit nicht allzu großer Mühe zu erleben. Dieses Versprechen kann erfüllt werden!"

Schlüpfen Sie in die Rolle Goethes?

"Nein, das interessiert mich nicht. Ich will Goethe nicht spielen, sondern seine Gedichte ins Hier und Jetzt stellen. Dass ich bei meinem Vortrag so manches Mal ein Goethezeit-Kostüm trage, ist übrigens kein Indiz für schauspielerische Ambitionen. Das Kostüm hilft dem Rezitator, sich gedanklich in die Goethezeit zu begeben und signalisiert dem Publikum, dass wir uns auf eine literarische Zeitreise begeben."

Können Gedichte ihre wahre Kraft erst im Vortrag entfalten? 

"Absolut. Die Tradition der mündlichen Dichtung ist ja sehr viel älter als die der schriftlichen. Ursprünglich wurden Gedichte und Geschichten vorgetragen und zielten auf ein hörendes Publikum.

Rezitation von Gedichten kann also als Rückkehr zu den Wurzeln der Dichtung gesehen werden, wo die unmittelbare Reaktion des Publikums und die Dynamik des Augenblicks eine wichtige Rolle spielen. Der Vortrag von Gedichten wird zu einem Ereignis.

Außerdem wissen wir, dass Goethe die Rezitation eigener Gedichte liebte. Er marschierte regelmäßig von Frankfurt nach Darmstadt, um seine Gedichte im Kreis der Empfindsamen vorzutragen, kaum dass die Tinte trocken war."

Warum ist Goethe heute immer noch angesagt?

"Er ist angesagt, weil er uns was zu sagen hat. Wenn Goethe Gedichte schreibt, sind das immer Reflexe unmittelbarer Erfahrung und eines bestimmten Seelenzustands. Da erkennen wir uns wieder."

Warum rezitieren Sie Goethe?

"Weil Goethe mit mir spricht. Seine Gedichte berühren mich. Außerdem ist es das Phänomen Goethe, dass mich in seinen Bann zieht, ein Mensch, der sein Leben zum Kunstwerk gemacht hat. 

Wenn man Goethe Lebenskunst verstehen will, wenn man mit ihm befreundet sein will, ist die Rezeption seine Werke, insbesondere auch seiner Gedichte, unumgänglich. Aber das ist eine sehr angenehme Pflicht. 

Irgendwann habe ich entdeckt, dass die Rezitation der Gedichte mir eine noch größere Freude bereitet, als sie nur zu lesen. Der Reiz für mein Publikum besteht darin, dass ich diese Freude weiter trage und mein Wissen über Werk und Dichter gerne teile."


Wer engagiert den Goethe-Rezitator?

"Zum Beispiel Geburtstagskinder, die auf der Frankfurter Gerbermühle feiern – durch Goethe West-östlichen Divan übrigens ein Ort der Weltliteratur – oder Menschen, die bei einer Führung die neue Altstadt in Frankfurt mit Goethes Augen sehen wollen."

Goethe-Rezitation in der Frankfurter Altstadt, ist das nicht ein schwieriges Terrain wegen des Treibens ringsherum?

"Kein Problem, es findet sich immer eine ruhige Ecke. Außerdem hat meine Führung durch die neue Frankfurter Altstadt ihre eigenen Gesetze.  Wir spazieren, wir entdecken, wir staunen. Immer auf Goethes Spuren."

Gibt es eine Lieblingsroute?

"Ja, Goethes Route: vom Elternhaus, also dem Goethe-Haus, am Großen Hirschgraben, vorbei am Karmeliterkloster, zum Römer. Wir schreiten über den Krönungsweg der deutschen Könige und Kaiser, schauen am Fünffingerplatz vorbei, kommen zur Goldenen Waage, spazieren schließlich rund um den Dom herum bis zum Haus von Goethes Tante Johanna Melber am Hühnermarkt. Und gehen langsam wieder zurück zum Römer - mit einem Füllhorn an Informationen zu den Krönungsfeierlichkeiten der deutschen Könige und Kaiser."


Was liest der Goethe Rezitator abends vor dem Einschlafen?

Im Moment "Kurgast" von Hermann Hesse.